Urlaubsansprüche verjähren nicht – zumindest nicht ohne weiteres

22.12.2022
4 Minuten

Bereits im September hatte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Leitlinien vorgegeben, nun hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) diese Vorgaben umgesetzt (BAG, Urt. v. 20.12.2022, Az.: 9 AZR 266/20): Nicht verfallende Urlaubsansprüche verjähren – ohne Zutun des Arbeitgebers – nicht im Rahmen der gesetzlichen Verjährung nach drei Jahren. Vielmehr ist auch in diesen Fällen ein Hinweis des Arbeitgebers über den konkreten Urlaubsanspruch sowie den drohenden Verfall erforderlich. Fehlt dieser Hinweis, setzt die Verjährung der Ansprüche nicht ein.

Was ist der Hintergrund der Entscheidung?

Das zunächst vor allem national vorgeprägte Urlaubsrecht wird bereits seit einigen Jahren durch europarechtliche Vorgaben beeinflusst. Insbesondere die Rechtsprechung des EuGH hat hier zu einer teils gravierenden Verschiebung der in der nationalen Rechtsordnung angelegten Risikoverteilung beigetragen, die sich wie folgt zusammenfassen lässt: Sofern der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht umfassend über seine Urlaubsansprüche und den drohenden Verfall informiert, kann er sich später nicht auf den Eintritt des Verfalls berufen. Diese dogmatische Richtungsentscheidung setzt der EuGH nun konsequent fort.

Was war die bisherige Rechtslage?

Grundsätzlich können der Geltendmachung von Urlaubsansprüchen Verfall und Verjährung entgegenstehen. Beides führt dazu, dass der Anspruch auf Urlaub nicht durchgesetzt werden kann.

Nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen Jahresurlaubsansprüche grundsätzlich am Ende des jeweiligen Kalenderjahres, spätestens am Ende des sog. „Übertragungszeitraums“, dem 31.03. des Folgejahres. Hier hatte der EuGH bereits 2018 (Urt. v. 6.11.2018 - C-684/16) die wegweisende Entscheidung getroffen, der Arbeitgeber müsse dem Arbeitnehmer durch eine entsprechende Aufklärung überhaupt erst ermöglichen, den Urlaub auch tatsächlich zu nehmen. Diesen Vorgaben schloss sich das BAG dann 2019 an (Urt. v. 19.2.2019 - 9 AZR 423/16) und entschied, dass Urlaubsansprüche nur dann verfallen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Diesen sog. Mitwirkungsobliegenheiten genügt der Arbeitgeber, wenn er den Arbeitnehmer förmlich zur Wahrnehmung des Urlaubs auffordert und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt. Hierzu dürfte insbesondere auch eine Information über die Höhe der Urlaubsansprüche gehören.

Daneben verjähren Urlaubsansprüche innerhalb der regelmäßigen gesetzlichen Verjährungsfrist. Diese beträgt nach § 195 BGB drei Jahre und beginnt bei Urlaubsansprüchen in der Regel mit Abschluss des Kalenderjahres, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist. Die vorliegend vom BAG zu beantwortende Frage war daher, ob sich ein Arbeitgeber, der seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht nachgekommen ist, sich nötigenfalls auf eine Verjährung der Urlaubsansprüche berufen kann.

Wie wirkt sich die Entscheidung des BAG aus?

Das BAG entschied nun: Hat der Arbeitgeber die o.g. Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt, kann er sich später auch nicht erfolgreich auf den Eintritt der Verjährung berufen. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt also erst am Ende desjenigen Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallsfristen belehrt hat und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht wahrnimmt. Dies gilt auch rückwirkend – selbst für Urlaubsjahre vor der Entscheidung des BAG im Jahr 2019, in der erstmals die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers geschaffen wurden. Damit ist es im Ergebnis denkbar, dass Arbeitnehmer unbegrenzt rückwirkend nicht genommene Urlaubsansprüche geltend machen können. Im vom BAG entschiedenen Fall ging es immerhin um mehr als 100 Urlaubstage.

Dies kann insbesondere den drohenden Urlaubsabgeltungsanspruch aus § 7 Abs. 4 BUrlG zu einem nicht unerheblichen wirtschaftlichen Risiko für den Arbeitgeber machen. Denn danach sind Urlaubsansprüche, die wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht gewährt werden können, durch eine entsprechende Zahlung abzugelten. Sofern hier ein entsprechender Hinweis nicht erfolgt ist, kann es also teuer werden.

Was sind die Konsequenzen für Arbeitgeber?

Momentan liegt nur eine Pressemitteilung des BAG vor. Es bleibt hier abzuwarten, welche Anforderungen das BAG in der noch offenen schriftlichen Urteilsbegründung an die Geltendmachung der Urlaubsansprüche stellt und ob hier zwischen Urlaubsansprüche und Urlaubsabgeltungsansprüche unterschieden wird.

Risiken bestehen jedoch insbesondere für Unternehmen, die sich von Arbeitnehmern trennen wollen, denen noch – möglicherweise unerkannt – Resturlaubsansprüche zustehen. Für diese könnte sich der Urlaubsabgeltungsanspruch aus § 7 Abs. 4 BUrlG als erhebliches Risiko entpuppen, sofern nicht konsequent auf eine Wahrnehmung des Erholungsurlaubs durch die Arbeitnehmer geachtet wurde. Auch können ehemalige Arbeitnehmer nun auf die Idee kommen, ggf. noch Abgeltungsansprüche gegen ihren alten Arbeitnehmer geltend zu machen. Spannend wird an dieser Stelle auch die Frage sein, wie das BAG die Darlegungs- und Beweispflichten bewertet: Reicht es aus, dass der Arbeitnehmer pauschal behauptet, ihm stünden noch Urlaubsansprüche für vergangene Jahre zu? Dies könnte Arbeitgeber in erhebliche Beweisnot bringen, wenn für länger zurückliegende Urlaubsjahre keine Dokumentation mehr vorhanden ist, wann Urlaub in welcher Höhe genommen wurde. Gleichfalls ungeklärt ist, ob Arbeitgeber zukünftig zusätzlich zum Hinweis auf den Verfall nach § 7 Abs. 3 BUrlG auch auf die gesetzliche Verjährung im Rahmen ihrer Mitwirkungsobliegenheiten hinweisen müssen.

In jedem Fall sind Arbeitgeber aber gut beraten, die neuerlichen Vorgaben zur Mitwirkungsobliegenheit zeitnah und konsequent umzusetzen, um so Haftungsrisiken bei Trennungen zu vermeiden. Durch den faktischen Wegfall der Verjährung als Haftungsbegrenzung ist die ordnungsgemäße Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten wichtiger denn je. Unternehmen sollten ihre internen Prozesse und Vorlagen regelmäßig prüfen und sich entsprechend fachlich beraten lassen.

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