Der Rückgriff auf den Börsenkurs einer Gesellschaft ist grundsätzlich eine geeignete Methode zur Schätzung des Unternehmenswertes und des Werts der Beteiligung eines außenstehenden Aktionärs im Rahmen des § 305 AktG. Er ist geeignet, die bisherige Ertragslage sowie die künftigen Ertragsaussichten im Einzelfall hinreichend abzubilden (BGH, Urt. v. 31.01.2024, Az. II ZB 5/22).
Die Antragsteller waren Aktionäre der K-AG (K), deren Aktien am regulierten Markt der Frankfurter Börse gehandelt wurden. Das Grundkapital betrug rund 88,5 Millionen €. Antragsgegnerin ist die V-AG (V). Am 12.02.2013 stand erstmals die Übernahme von K durch V in Rede. K veröffentlichte am 12.06.2013 eine Mitteilung, wonach V die K möglicherweise übernehmen wolle, allerdings keine Gewissheit darüber bestehe, ob und zu welchen Bedingungen ein Angebot ergehen werde. Am 26.06.2013 veröffentliche K eine weitere Mitteilung, wonach V nach wie vor die Absicht habe, die K zu übernehmen und ein freiwilliges öffentliches Übernahmeangebot in Höhe von 84,50 € ergehen werden. Am 30.07.2013 wurde das entsprechende Übernahmeangebot veröffentlicht. Die angebotene Leistung wurde von K am 02.08.2013 als angemessen eingestuft. Am 12.09.2013 veröffentliche V eine Mitteilung, wonach die Angebotsschwelle von mindestens 75 % erreicht und nunmehr beabsichtigt sei, mit der K einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag abzuschließen. Am 20.09.2013 erfolgte sodann die Kartellfreigabe durch die EU-Kommission.
In den relevanten Zeiträumen vom 12.02.2013, dem 12.06.2013, dem 30.07.2013 und dem 12.09.2013 lag der von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ermittelte gewichtete Durchschnittskurs der K-Aktie bei 57,22 €, 72,11 €, 82,19 € und 84,53 € je Aktie. Die von K und V beauftragte Prüfungsgesellschaft ermittelte für den beabsichtigten Stichtag nach dem Ertragswertverfahren einen Wert der K-Aktie in Höhe von 75,76 € je Aktie und einen Ausgleich von 3,77 € je Aktie, ausgehend von dem Übernahmeangebot in Höhe von 84,50 €. Die gerichtlich bestellte Vertragsprüferin hielt die Berechnung für angemessen. Auf dieser Grundlage schlossen K und V am 29.12.2013 den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. Die Hauptversammlung des K stimmte diesen zu und am 13.03.2014 wurde der Beschluss in das Handelsregister eingetragen.
Die Antragsteller leiteten ein Spruchverfahren mit den Anträgen ein, eine höhere Abfindung und einen höheren Ausgleich festzusetzen. Durch Beschluss des LG München vom 09.06.2016 wurde nach den §§ 142 ff. AktG ein Sonderprüfer eingesetzt, welcher die Gegebenheiten aus 2013 gegenprüfen sollte. Am 20.08.2020 legte dieser Bericht vor. Am 22.10.2020 gab V ein nachträgliches öffentliches Angebot in Höhe von 103 € pro Aktie ab, dessen Annahme mit der Verpflichtung einherging, das Spruchverfahren zu beenden.
Das Landgericht wies die Anträge zurück. Die hiergegen gerichtet Beschwerde vor dem OLG hatte keinen Erfolg.
Auch die Rechtsbeschwerde vor dem BGH blieb ohne Erfolg. Das OLG sei ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Abfindung von 84,53 € pro Aktie und der Ausgleich von 3,77 € pro Aktie eine angemesse Höhe darstellten.
Die Angemessenheit der Abfindung der außenstehenden Aktionäre im Sinne des § 305 AktG könne anhand des Börsenwerts der Gesellschaft bestimmt werden. Dieser Rückgriff sei grundsätzlich eine geeignete Methode zur Schätzung des Unternehmenswertes und des Werts der Beteiligung eines außenstehenden Aktionärs. Der Unternehmenswert der K wurde darüber hinaus nicht nur zur bloßen Pausibilisierung des Werts der Gesellschaft, sondern zur Bestimmung des wirklichen, wahren Werts abgeleitet. Die Angriffe der Rechtsbeschwerde gegen die Wahl der marktorientierten Bewertungsmethode greifen nicht durch, weil sie keinen Rechtfehler aufzeigen und im Übrigen erfolglos versuchen, die tatrichterliche Entscheidung durch die für besser erachtete Methode zu ersetzen.
Der angemessene Ausgleich der außenstehenden Aktionäre im Sinne des § 304 II S. 1 AktG kann ebenfalls aus dem Börsenwert der Gesellschaft abgeleitet werden. Ob die Ableitung des Ausgleichs aus dem Börsenwert einer Gesellschaft im Einzelfall den Wert der Unternehmensbeteiligung zutreffend abbildet, ist Teil der tatsächlichen Würdigung durch den Tatrichter. Dass der Börsenwert grundsätzlich für die Bemessung geeignet sei, beruhe darauf, dass die Marktteilnehmer auf der Grundlage der ihnen zur Verfügung gestellten Informationen und Informationsmöglichkeiten des Unternehmens, um dessen Aktien es geht, zutreffend bewerten und sich diese Marktbewertung im Börsenkurs der Aktien niederschlägt. Das OLG habe deshalb ohne Rechtsfehler den Börsenwert der K zugrunde gelegt und eine Ableitung mithilfe eines Verrentungszinssatzes von 3,75 % übernommen.
Mit dieser Entscheidung hat der BGH die umstrittene Frage geklärt, ob der feste Ausgleich der außenstehenden Aktionäre auf Grundlage des anhand des Börsenwerts geschätzten Unternehmenswerts bestimmt werden kann. Die Heranziehung der marktorientierten Bewertungsmethode war bislang mit Blick auf den Wortlaut des § 304 II S. 1 AktG in der Literatur zum Teil abgelehnt worden. Nach Auffassung des BGH spricht jedoch der Wortlaut dieser Vorschrift nicht für einen Ausschluss einer marktorientierten Bewertungsmethode.
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