Start-Ups und Grundsätze für positive Fortbestehensprognose

10.01.2024
Wirtschaft, Gesellschaft und Handel 1/2024
3 Minuten

Die Grundsätze des BGH zu einer positiven Fortbestehungsprognose im Sinne des § 19 II S. 1 InsO sind nicht uneingeschränkt auf Start-Ups anwendbar. Eine realistische und nachvollziehbare Finanzplanung reicht unter bestimmten Voraussetzungen zur Beurteilung der Fortbestehungsprognose aus (OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.8.2023, Az. 12 U 59/22).

Worum geht es? 

Im vorliegenden Fall stritten die Parteien um die Erstattung von Zahlungen, die nach dem geltend gemachten Eintritt der Insolvenzreife der Schuldnerin von ihren kreditorischen Konten durch den Geschäftsführer vorgenommen worden sind. In diesem Zusammenhang war der konkrete Zeitpunkt der Insolvenzreife strittig.

Bei der Schuldnerin handelt es sich um ein Start-Up, dass ein Vertriebsportal für Gebraucht- und Nutzfahrzeuge etablieren wollte. Sie investierte erhebliche Beträge in die Entwicklung der Software für eine Automobil-Börse. Sie finanzierte sich im Wesentlichen über Darlehen eines Investors, welche seit 2014 „zur Stärkung des Eigenkapitals in der Gründungsphase des Unternehmens“ gewährt wurden. Sämtliche Darlehen waren bis zum 31.12.2017 befristet und danach zurückzuzahlen.

Auf Eigenantrag der Schuldnerin eröffnete das Amtsgericht Duisburg mit Beschluss vom 28.12.2016 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Der Kläger verlangte vom Beklagten als Geschäftsführer der Schuldnerin unter Abzug der Zahlungen an das Finanzamt und der Arbeitnehmeranteile an Sozialversicherungsträger Zahlung von insgesamt 43.441,06 Euro nebst Zinsen.

Die ausgegebenen Darlehen, so der Insolvenzverwalter als Kläger, seien in der Überschuldungsbilanz zu passivieren. Stille Reserven oder sonstige nicht in der Handelsbilanz ausgewiesene Vermögensgegenstände hätten nicht vorgelegen. Insbesondere könnten die von der Schuldnerin für die Entwicklung der Software aufgewendeten Kosten ebenso wenig berücksichtigt werden wie etwaige Anschaffungskosten für eine solche Software.

Eine positive Fortführungsprognose (besser: „Fortbestehensprognose“), die die insolvenzrechtliche Überschuldung der Schuldnerin und damit die Ansprüche gegenüber dem Beklagten entfallen ließe, sei, so der Kläger, nicht feststellbar. Eine solche sei auch nicht dokumentiert worden. Auch für den Bereich von Start-Up-Unternehmen seien Sonderregelungen, die die Feststellung einer positiven Fortbestehensprognose erleichterten, nicht anzuerkennen. Die von dem Beklagten vorgelegte Finanzplanung für den Zeitraum von 2016 bis 2020 begründete auch keine solche, da schon die für 2016 geplanten Umsatzsteigerungen von mehr als 1000% bei im Wesentlichen gleichbleibenden Kosten unrealistisch gewesen seien.

Das Landgericht Krefeld hielt erstinstanzlich fest, dass die Grundsätze, die der BGH für eine positive Fortbestehensprognose aufgestellt hat, bei Start-Ups nicht uneingeschränkt anwendbar seien; eine solche sei vorliegend anzunehmen. Hiergegen wendet sich der Kläger im Rahmen seiner Berufung.

Wie entschied das Gericht? 

Entgegen der Ansicht des Landgerichts hielt das OLG Düsseldorf die Klage für begründet. Der Kläger hat als Insolvenzverwalter der Schuldnerin einen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung von 43.441,06 Euro aus §§ 80 I InsO, 64 S. 1 GmbHG (a. F.).

Die Schuldnerin war demnach bereits zum 31.12.2015 überschuldet. Überschuldung liegt dann vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung (bzw. das „Fortbestehen“) des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.

Der BGH sieht die Ertragsfähigkeit bei Start-Ups jedoch nicht als Voraussetzung einer positiven Fortbestehensprognose an. Es liege vielmehr in der Natur des Unternehmens, dass dieses zunächst nur Schulden macht und von Darlehen abhängig ist. In der Folge müsse auf die Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum abgestellt werden, wobei die erforderlichen Mittel auch von Dritten zur Verfügung gestellt werden können. Für den Fall, dass man auf die Ertragsfähigkeit abstellte, würde man Start-Ups in vielen Fällen zum Marktaustritt zwingen.

Im Ergebnis muss die Fortführungsfähigkeit von Unternehmen, auch bei Start-Ups, im Rahmen des § 19 InsO überwiegend, also zu mehr als 50% wahrscheinlich sein. Voraussetzung ist somit, dass ein Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage ist, seine im Prognosezeitraum fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen.

Laut OLG Düsseldorf ist die Grundlage für eine solche Beurteilung eine – nachvollziehbare und realistische –  Finanzplanung mit einem operativen Konzept, das die geplante Etablierung der Geschäftsidee eines Start-Up-Unternehmens erfolgsversprechend erscheinen lässt. Die Planung muss neben dem erforderlichen Zahlenwerk auch Informationen zu deren Herleitung enthalten. Weiter muss die Planung die Grundlage für Finanzierungszusagen der Kapitalgeber sein. Für den Fall, dass die Planung für die Finanzierungszusage der Kapitalgeber nicht relevant ist, kann sie auch nicht die Grundlage einer positiven Fortbestehensprognose sein.

Vorliegend lagen weder hinreichende Informationen zu Herleitung der Planung vor, noch machte der Darlehensgeber seine Kapitalzusage von dieser abhängig. Der Geschäftsführer durfte daher nicht von einer positiven Fortbestehensprognose ausgehen. Aufgrund seines damit einhergehenden Verschuldens hat er die getätigten Zahlungen nach dem geltend gemachten Eintritt der Insolvenzreife der Schuldnerin zu erstatten.

Praxishinweis 

Die insolvenzrechtliche positive Fortführungsprognose, besser: „Fortbestehensprognose“, gibt der Gesellschaft die Möglichkeit trotz rechnerischer Überschuldung den Tatbestand der insolvenzrechtlichen Überschuldung auszuschließen. Eine entsprechende Prognose setzt jedoch vor allem voraus, dass auf Basis objektiv nachvollziehbarer, plausibler Annahmen davon auszugehen ist, dass die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit während des Prognosezeitraums (12 Monate) wahrscheinlicher ist als der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Eine Fortbestehensprognose sollte stets sorgfältig dokumentiert werden. Als Alternativen können nachrangige Darlehen, Patronatserklärungen und andere Instrumente gegen eine Überschuldung helfen.

Bildnachweis:zaozaa19/shutterstock/Stock-Foto ID: 472419505

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