Darlegungs- und Beweislast bei Überstundenvergütung

04.03.2025
Arbeitsrecht
5 Minuten

Eine aktuelle Entscheidung des LAG Niedersachsen verdeutlicht erhebliche Risiken für Arbeitgeber in Überstundenprozessen – insbesondere mit Blick auf eine etwaig nicht vorhandene Arbeitszeiterfassung sowie unwirksame Ausschlussfristen. Die Entscheidung kann – sollte sie sich in der weiteren Rechtsprechung bestätigen – fundamentale Auswirkungen auf Überstundenvergütungen haben. Es lohnt sich daher ein genauer Blick auf Sachverhalt, Entscheidungsgründe und Folgerungen aus diesem Judikat. 

Worum geht es?

Die Klägerin war über zehn Jahre lang als Lageristin und kaufmännische Angestellte in einer kleinen Kfz-Werkstatt tätig. Laut Arbeitsvertrag betrug ihre regelmäßige Wochenarbeitszeit 24 Stunden. Nachdem die Mutter des Geschäftsführers aus dem Betrieb ausschied, wurde keine Ersatzkraft eingestellt, wodurch sich das Arbeitsvolumen für die Klägerin erheblich erhöhte. 

Zu ihren Aufgaben gehörten unter anderem die Annahme von Telefonaten, die Kundenbetreuung, die Terminvergabe für die Werkstatt, die Ersatzteilbestellung, die Kassenführung, der Fahrzeugverkauf sowie zahlreiche administrative Tätigkeiten. Die Klägerin behauptete, sie habe in den Jahren 2020 bis 2022 regelmäßig von Montag bis Freitag mindestens von 8:00 Uhr bis 18:00 Uhr sowie samstags nach Absprache gearbeitet. Die von ihr angeführten Überstunden seien vom Arbeitgeber stillschweigend geduldet oder sogar angeordnet worden. 

Die Beklagte (Arbeitgeberin) bestritt die Überstunden. Sie behauptete, dass auch der Geschäftsführer sowie weitere Mitarbeiter die von der Klägerin genannten Tätigkeiten übernommen hätten. Zudem habe es einen Auftragseinbruch gegeben, der den Arbeitsanfall reduziert habe. Die Klägerin sei mehrfach gebeten worden, Kurzarbeit zu vereinbaren, was sie abgelehnt habe. Die Beklagte argumentierte weiter, dass eine Arbeitnehmerin nicht eigenmächtig Überstunden leisten und dann deren Vergütung verlangen könne. Außerdem rügte sie die Verfristung der Ansprüche aufgrund einer arbeitsvertraglichen Ausschlussklausel. 

Das Arbeitsgericht Oldenburg wies die Klage in erster Instanz ab. Es argumentierte, dass die Klägerin ihre Überstunden nicht ausreichend substantiiert dargelegt habe und ihre Kalendereintragungen nicht glaubhaft seien. Zudem sei nicht ersichtlich, dass die Überstunden von der Beklagten ausdrücklich oder stillschweigend angeordnet worden seien. 

Die Klägerin legte gegen diese Entscheidung Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen ein. In der Berufungsinstanz wiederholte und vertiefte sie ihren Vortrag. Sie betonte insbesondere, dass die Beklagte ihrer Pflicht, die Arbeitszeiten aufzuzeichnen, nicht nachgekommen sei. Sie habe sich daher nicht darauf beschränken können, die behaupteten Überstunden pauschal zu bestreiten. 

​Wie hat das Gericht entschieden?

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen gab der Klägerin in weiten Teilen recht und sprach ihr eine Überstundenvergütung in Höhe von 46.531,42 € brutto zu. Das Gericht entschied, dass die Klägerin ihre Überstunden hinreichend substantiiert dargelegt habe, während die Beklagte ihrer Erwiderungslast nicht nachgekommen sei. 

1. Beweislast für geleistete Überstunden 

Grundsätzlich muss ein Arbeitnehmer, der Überstundenvergütung verlangt, nachweisen, dass er die behaupteten Überstunden tatsächlich geleistet hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urt. v. 04.05.2022 – 5 AZR 474/21) genügt es dafür, wenn der Arbeitnehmer konkret angibt, an welchen Tagen er von wann bis wann gearbeitet hat. Der Arbeitgeber muss dann substantiiert darlegen, warum diese Angaben nicht zutreffen. 

Die Klägerin hatte ihre Arbeitszeiten über einen langen Zeitraum hinweg dokumentiert und konnte sie durch Kalendereinträge belegen. Das LAG hielt diesen Vortrag für schlüssig, insbesondere weil ihre Arbeitszeiten weitgehend mit den Öffnungszeiten des Betriebs übereinstimmten. Die Argumentation des Arbeitsgerichts Oldenburg, wonach die Kalendereintragungen der Klägerin nicht glaubwürdig seien, ließ das Berufungsgericht nicht gelten. Es betonte, dass eine Glaubhaftigkeitsprüfung erst nach Berücksichtigung des gegnerischen Vorbringens erfolgen könne (§ 286 Abs. 1 ZPO). 

Da die Beklagte die konkreten Angaben der Klägerin nicht detailliert bestritten hatte, sondern nur pauschal abstritt, dass sie in diesem Umfang gearbeitet habe, sah das LAG die Überstunden gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden an. 

2. Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung und Auswirkungen auf den Prozess 

Das LAG hob hervor, dass Arbeitgeber nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet sind, ein System zur Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer einzuführen (vgl. BAG, Beschl. v. 13.09.2022 – 1 ABR 22/21). Da die Beklagte dem nicht nachgekommen war, hätte sie zumindest im Überstundenprozess nachvollziehbare Aufzeichnungen vorlegen müssen, um die Behauptungen der Klägerin zu widerlegen. Dies war nicht geschehen. 

Das Gericht stellte klar, dass die fehlende Zeiterfassung nicht automatisch zu einer Umkehr der Beweislast führe. Allerdings könne ein Arbeitgeber sich nicht darauf beschränken, Überstunden pauschal zu bestreiten, wenn er selbst die relevanten Arbeitszeitdaten nicht dokumentiert. 

3. Anordnung oder Duldung der Überstunden 

Für einen Vergütungsanspruch genügt es nicht, dass Überstunden geleistet wurden – sie müssen auch vom Arbeitgeber angeordnet, geduldet oder erforderlich gewesen sein (BAG, Urt. v. 10.04.2013 – 5 AZR 122/12). 

Das LAG Niedersachsen sah eine konkludente Anordnung von Überstunden, weil: 

  • die Klägerin Tätigkeiten verrichtete, die während der gesamten Geschäftszeiten notwendig waren (z. B. Telefonannahme, Kundenbetreuung, Kassenführung); 

  • der Geschäftsführer von den Überstunden wusste, da er selbst im Betrieb mitarbeitete; 

  • keine organisatorischen Maßnahmen ergriffen wurden, um Überstunden zu verhindern. 

Zudem bejahte das Gericht eine Duldung der Überstunden. Der Geschäftsführer hatte über Jahre hinweg keine Maßnahmen ergriffen, um die von der Klägerin erbrachte Mehrarbeit zu unterbinden oder zu korrigieren. 

4. Ausschlussfrist im Arbeitsvertrag unwirksam 

Die Beklagte berief sich auf eine arbeitsvertragliche Ausschlussfrist von drei Monaten, nach der alle Ansprüche verfallen sollten, wenn sie nicht rechtzeitig geltend gemacht wurden. Das LAG erklärte diese Klausel jedoch für unwirksam, weil sie gegen § 202 Abs. 1 BGB verstieß. Sie erfasste auch Ansprüche aus vorsätzlichen unerlaubten Handlungen, was nach der Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 26.11.2020 – 8 AZR 58/20) zur Nichtigkeit führt. 

5. Höhe des Vergütungsanspruchs 

Das LAG Niedersachsen berechnete den Anspruch der Klägerin wie folgt: 

  • Die Klägerin hätte laut Arbeitsvertrag 24 Stunden pro Woche arbeiten sollen. Tatsächlich leistete sie jedoch 44 Stunden pro Woche. 

  • Der Differenzbetrag von 20 Überstunden pro Woche über einen Zeitraum von 35 Monaten ergab insgesamt 3.025,45 Überstunden

  • Bei einem Stundenlohn von 15,38 € ergab sich eine Nachzahlung von 46.531,42 € brutto

  • Das Gericht sprach der Klägerin zudem Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.03.2023 gemäß §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB zu. 

6. Revision zugelassen 

Da die Entscheidung grundsätzliche Fragen zur Beweislast im Überstundenprozess und zur Arbeitszeiterfassungspflicht aufwarf, ließ das LAG Niedersachsen die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG – 5 AZR 40/25) zu. 

Praxishinweis

Das Urteil steht nach unserem Dafürhalten in Widerspruch zur Rechtsprechung des BAG. Danach gebietet es schon die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten, dass ein Arbeitnehmer, der unbezahlte Überstunden leistet, seine Arbeitszeiten aufzeichnet. Es bestehe kein sachlicher Grund, dem Arbeitgeber insoweit eine sekundäre Darlegungslast zuzuweisen. Auf die Frage, ob die Darlegung dem Arbeitgeber zumutbar wäre, kommt es folglich nicht an, wenn schon der Arbeitnehmer nicht das ihm Zumutbare zur Substanziierung seines Vortrags unternimmt und sich auf pauschale Behauptungen zu regelmäßig anfallenden Überstunden beschränkt. Vorliegend hat die Klägerin gerade keine konkreten Arbeitszeiten angegeben, sondern lediglich pauschal behauptet, sie habe meist während der gesamten Öffnungszeiten und darüber hinaus gearbeitet. Eine Revision hätte aus unserer Sicht daher gute Erfolgsaussichten. 

De facto ist dieses Urteil aber zwingend zur Kenntnis zu nehmen. Arbeitgeber sind nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen. Wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen, können sie – so das LAG – in Überstundenprozessen nicht einfach pauschal bestreiten, dass Überstunden geleistet wurden. Fehlen Aufzeichnungen, gilt das Vorbringen des Arbeitnehmers nach § 138 Abs. 3 ZPO oft als zugestanden. 

Für Arbeitgeber bedeutet das: 

  • Sie sollten ein verlässliches Zeiterfassungssystem implementieren, um Streitigkeiten über Überstunden zu vermeiden. 

  • Sie müssen auf Überstunden reagieren und diese entweder explizit anordnen oder unterbinden, um eine stillschweigende Duldung zu vermeiden. 

  • Pauschales Bestreiten von Überstunden reicht nicht aus – sie müssen detailliert darlegen, wann und in welchem Umfang der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat. 

  • Ausschlussfristen im Arbeitsvertrag sollten regelmäßig zwingend aktualisiert werden. 

Bildnachweis:deepblue4you/Stock-Fotografie-ID:2169902195

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