Das Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) hat mit Urteil vom 11.05.2023 (Az.: 5 U 38/23) entschieden, dass eine Mitgliederklage (sog. actio pro socio) nur in engen Ausnahmenfällen möglich sein soll.
Eine actio pro socio (Mitgliederklage) eröffnet die Möglichkeit, dass einzelne Mitglieder die Rechte aller Mitglieder auf dem (einstweiligen) Klageweg gegen den Verein durchsetzen können. Diese Klageart soll vorrangig für den Schutz von Minderheiten gelten. Die formelle Anwendung ist nicht materiell-rechtlich geregelt, sodass die Existenz und die Voraussetzungen einer Mitgliederklage heftig umstritten sind. Nun hat das OLG Brandenburg zu einzelnen Voraussetzungen Stellung bezogen.
Die Parteien stritten vorliegend um den Abschluss eines Aufhebungsvertrags mit der angestellten Geschäftsführerin des beklagten Vereins. Der Beklagte war ein eingetragener Verein der Wohlfahrtspflege. Die Kläger - selbst gemeinnützige Vereine, die Mitglieder in dem Verein waren – sahen durch den Abschluss des Aufhebungsvertrags den Tatbestand der Untreue im Sinne des § 266 StGB erfüllt (Veruntreuung gemeinnützigkeitsrechtlich gebundener Mittel). Als Folge der Untreue sei – so die Kläger - die Gemeinnützigkeit des beklagten Vereins und die seiner Mitglieder gefährdet.
Die Satzung sah vor, dass die Mitglieder mit einer Frist von 12 Monaten zum Schluss eines Kalenderjahres aus dem Verein austreten können. Auf Grund dieser zeitlichen Gebundenheit an den beklagten Verein und dem aus ihrer Sicht drohenden Verlust der Gemeinnützigkeit sahen sich die Mitglieder in ihren Rechten verletzt und beantragten eine einstweilige Verfügung gegen den Vorstand des Vereins, ohne vorher eine außerordentliche Mitgliederversammlung einzuberufen. Der Antrag war darauf gerichtet, dass der Aufhebungsvertrag nicht abgeschlossen werden dürfe. Eine zwischenzeitlich eingeholte verbindliche Auskunft im Sinne des § 89 Abs. AO durch den beklagten Verein hatte ergeben, dass das zuständige Finanzamt die Gemeinnützigkeit durch den Aufhebungsvertrag nicht als gefährdet angesehen hat.
Das erstinstanzlich zuständige Landgericht Potsdam gab der Klage der Mitglieder vollumfänglich statt. Zu Unrecht, wie das OLG Brandenburg nun entschied.
Nach Ansicht des urteilenden 5. Senats haben die Kläger ihren Anspruch, von dem Beklagten zu verlangen, den beabsichtigten Aufhebungsvertrag nicht abzuschließen, unschlüssig darlegt.
Dabei stellt das Gericht klar, dass es grundsätzlich dem Vorstand im Rahmen seiner Geschäftsführungsbefugnis (§ 27 Abs. 3 BGB) obliege, Aufhebungsverträge zu schließen. Der Vorstand wiederum sei aber an die Weisungen der Mitgliederversammlung gebunden. Dieses Recht stehe allerdings der Mitgliederversammlung insgesamt zu und nicht einzelnen Mitgliedern. Einzelne Mitglieder hätten nur das Recht, die Unterlassung und Beseitigung konkreter Satzungsverstöße zu verlangen, innerhalb der Mitgliederversammlung Missstände aufzuzeigen, die Entlastung des Vorstands zu verweigern oder bei einer Schädigung des Vereins Schadensersatz zu verlangen.
Verfüge der Verein über kein Aufsichtsorgan, dass gegen Verstöße des Vorstands vorgehen könne, so komme grundsätzlich die actio pro socio als Handlungsalternative in Betracht. Hierfür müsse allerdings ein satzungs- oder gesetzeswidriger Zustand durch die Mitgliederversammlung insgesamt nicht mehr rechtzeitig beseitigt werden können, sodass die direkte Klageerhebung durch einzelne Mitglieder nötig werde. Dies sei nicht bei jeder Handlung des Vorstands der Fall. Die bloß behauptete Gefahr des Verlustes der Gemeinnützigkeit reiche hierfür nicht aus, denn dies betreffe nicht die Gefahr der Aushöhlung des Vereinszweck an sich, sondern habe schlicht finanzielle Auswirkungen. Hiervon blieben die satzungsmäßigen Rechte der Mitglieder folglich gänzlich unberührt.
Um die Rechte im Wege der actio pro socio geltend machen zu können, bedürfe es weitergehend einer besonderen Dringlichkeit. Vorliegend könne durch zwei Drittel der Mitglieder eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen werden, auf der ein entsprechend untersagender Beschluss hinsichtlich des Unterlassens des Abschlusses eines Aufhebungsvertrags gefasst werden könne. Den Klägern gelang der Beweis nicht, dass die Dringlichkeit des Anliegens eine Entscheidung des Gerichts erfordere. Die Mitgliederklage wäre nur dann statthaft gewesen, wenn eine tatsächliche Gefahr bestünde, dass die (Weisungs-)Rechte der Mitglieder vereitelt bzw. wesentlich erschwert würden.
Das Gericht unterstreicht mit dieser Entscheidung den absoluten Ausnahmecharakter der Mitgliederklage. Sofern interne Sicherungsmaßnahmen durch Beschlüsse von Aufsichtsorgangen (zB der Mitgliederversammlung) greifen könnten, kann die besondere Eilbedürftigkeit der Mitgliederklage nur schwerlich begründet werden. Regelmäßig dürfte in Fällen der Diskrepanz von Entscheidungen zwischen Vorstand und Mitgliederversammlung die Ausübung des Weisungsrechts der Mitgliederversammlung ausreichend sein, um die Mitgliederrechte zu wahren. Nur wenn dies nicht der Fall ist, kommt überhaupt eine Mitgliederklage in Betracht.
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